Anna Schaffelhuber: Zwischen Schulbank, Schnuller und Skipiste
20.10.2025
Para-Athletin und LMU-Alumna Anna Schaffelhuber über Lehrberuf und Familienzeit
20.10.2025
Para-Athletin und LMU-Alumna Anna Schaffelhuber über Lehrberuf und Familienzeit
Goldmedaillen, Werbedrehs, Pressekonferenzen: Vor rund zehn Jahren führte Anna Schaffelhuber ein Leben voller Tempo und Termine – und das alles im Schnee. Die Monoski-Fahrerin zählte zu den erfolgreichsten deutschen Athletinnen, gewann bei den Paralympischen Spielen in Sotschi 2014 fünfmal Gold und wurde über Nacht zum Star. „Sotschi war das Highlight meiner sportlichen Karriere, auf das ich sehr stolz bin“, sagt die 32-jährige LMU-Alumna heute. „Aber es war auch eine anstrengende Zeit, mit viel Druck und übervollem Terminkalender.“
Ein gewisser Ehrgeiz sei schon immer ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen. Mit Querschnittslähmung geboren, fuhr die Regensburgerin mit fünf Jahren zum ersten Mal im Sitz-Monoski – einer speziellen Vorrichtung auf einem Einzelski, die Menschen mit Gehbehinderung das Skifahren ermöglicht. Bald darauf startete sie bei ihren ersten Rennen. „Ich wollte nie, dass man mich auf meine Behinderung reduziert – und stattdessen zeigen, dass Leistung, Leidenschaft und Lebensfreude nichts mit körperlichen Voraussetzungen zu tun haben.“
Nach dem Abitur zog sie nach München, wo sie sich 2011 zunächst für ein Jurastudium an der LMU einschrieb. „Rechtsanwältin zu werden – das war damals mein Traum“, erinnert sie sich. Mit dem Rollstuhl durch die altehrwürdigen Gebäude des Juristischen Seminars – das war machbar, konnte aber zuweilen lange dauern. „Die größte Herausforderung waren definitiv die Wege von einem Seminarraum zum anderen“, erinnert sich Schaffelhuber an ihre Studienzeit.
Diese seien in der Regel deutlich weiter und oft schwer zu finden, „vor allem, weil man nicht einfach jemanden nach dem Weg fragen kann.“ Viele Studierende nutzten nur die Hauptwege über die Treppen; für sie selbst war das keine Option. Doch auch das Aufzug-System im Hauptgebäude am Geschwister-Scholl-Platz müsse man erst mal durchschauen. „Denn dort liegen die Stockwerke in den einzelnen Gebäudeteilen nicht auf derselben Ebene. Man kann in einem Aufzug die Eins drücken, die im anderen Gebäude aber die Zwei ist.“
Regelmäßig pendelte sie damals zwischen Vorlesungen an der LMU und Trainingslagern in den Bergen. „In der Zeit, in der sich andere Athletinnen und Athleten regenerierten, saß ich am Schreibtisch“, erzählt sie. Gleichzeitig diente ihr die Uni aber auch als Ausgleich: „Ich mochte es, nach einem Rennen in einer ganz normalen Vorlesung zu sitzen und im Kopf ‚umzuschalten‘.“
Im Sommersemester 2013 versuchte sie, möglichst viel für die Uni vorzubereiten, um im darauffolgenden Winter genügend Zeit fürs Skifahren zu haben – und die Paralympischen Spiele in Sotschi. Ihre Strategie zahlte sich aus. Trotz der Doppelbelastung gelang ihr, was auch im Spitzensport selten ist: Sie startete in fünf Rennen der Monoski-Sitzklasse – Abfahrt, Super-G, Super-Kombination, Riesenslalom und Slalom – und gewann jedes einzelne davon. Damit wurde sie zur erfolgreichsten deutschen Athletin jener Spiele und zu einer Symbolfigur für den Parasport.
Ich wollte nie, dass man mich auf meine Behinderung reduziert – und stattdessen zeigen, dass Leistung, Leidenschaft und Lebensfreude nichts mit körperlichen Voraussetzungen zu tun haben.Anna Schaffelhuber
Auch an der LMU blieb ihr Erfolg natürlich nicht unbemerkt: Von ihren Dozierenden und Mitstudierenden wurde sie damals gelegentlich um Autogramme gebeten. Mit dem Erfolg wuchs aber auch der Druck. Denn sie wollte sich selbst und anderen beweisen, dass der Erfolg in Sotschi keine Eintagsfliege gewesen war. Tatsächlich stand sie auch bei den Paralympics 2018 in Pyeongchang wieder mehrfach auf dem Podium – mit einer Silber- und zwei Goldmedaillen – und wurde zur deutschen „Para-Sportlerin des Jahrzehnts“ gewählt.
„Darüber freute ich mich wirklich unbändig“, erinnert sie sich heute. Doch nach dem erneuten Triumph kam eine bewusste Zäsur. „Ich wollte rechtzeitig aufhören – mit einem guten Gefühl.“ Statt weiter auf Pisten Medaillen zu jagen, wechselte sie zurück in den Hörsaal, an die LMU.
Hier merkte sie allerdings, dass sie „auf Dauer lieber mit Menschen arbeiten wollte als mit Paragrafen“. Also wechselte sie ins Lehramtsstudium an der LMU – mit den Fächern Mathematik und Wirtschaft. „Dass diese Kombination analytisches Denken mit Alltagsnähe verbindet, hat mir sehr gefallen.“ Denn strategisches Denken sei etwas, das ihr auch im Sport immer wieder geholfen habe.
Auch in diesem Fach hatte sie es als Rollstuhlfahrerin nicht ganz leicht. „Man ist als Lehramtsstudentin über die ganze Stadt verstreut“, sagt Schaffelhuber. „Die Wege zwischen den verschiedenen Instituten sind oft weit, und barrierefreie Zugänge muss man manchmal erst suchen.“ Mit der Zeit habe sie gelernt, ihre Routen genau zu planen – und das mit derselben Disziplin, die sie aus dem Leistungssport kannte.
Nach ihrem Lehramtsabschluss begann Anna Schaffelhuber ihr Referendariat an einer Realschule in Wasserburg am Inn. Später unterrichtete sie an Schulen im Landkreis Rosenheim die Fächer Mathematik, Wirtschaft und Rechnungswesen.
„Plötzlich sitzt man dann vor einer Klasse und merkt, wie viel Organisation und Geduld dahinterstecken“, erzählt sie. „Das war ein Perspektivwechsel – von der Lernenden zur Lehrenden.“ Schaffelhuber unterrichtet im Rollstuhl – und ist überzeugt, dass Authentizität dabei wichtig ist. „Wenn Schülerinnen und Schüler merken, dass man echt ist und für das brennt, was man tut, spielt alles andere keine Rolle.“
Anna Schaffelhuber mit ihrem Kind. Sie ist mittlerweile Mutter von zwei Kindern. | © Privat
Parallel gründete Anna Schaffelhuber die „Grenzenlos Camps“ – ein Projekt, bei dem Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport treiben. „Wir wollen Begegnungen, Vertrauen und gemeinsames Lernen fördern“, sagt sie. Sport wirke dabei wie ein Bindeglied. „Kinder merken schnell, dass sie viel mehr gemeinsam haben, als sie trennt.“ Die Sommercamps, die sie gemeinsam mit Partnerorganisationen durchführt, wachsen stetig.
Mit der Geburt ihres ersten Kindes veränderte sich Anna Schaffelhubers Leben im vergangenen Jahr erneut von Grund auf. Mittlerweile halten sie zwei kleine Kinder auf Trab, und die Tage sind voller neuer Herausforderungen. „Mein jetziges Leben ist ruhiger, aber nicht weniger erfüllend“, sagt sie. „Natürlich war das damals eine große Umstellung – vom ständigen Reisen im Leistungssport zu einem geregelten Leben, bei dem der Kalender deutlich leerer ist. Aber genau das fand ich nach meiner Karriere im Sport so reizvoll.“
Ihr Tagesablauf sei heute entspannter, weil sie weniger Druck und Erwartungshaltung spüre – „auch wenn bestimmte Momente mit kleinen Kindern natürlich stressig sind, nur anders.“ Manchmal, erzählt sie, denke sie noch an Trainingstage in den Bergen zurück – an Sonne, Schnee und schnelle Abfahrten. „Das würde mich schon mal wieder reizen“, sagt sie. „Den Wettkampfalltag dagegen vermisse ich nicht – gerade wenn ich daran denke, wie viel Organisation und Druck das Leben im Leistungssport mit sich bringt.“
Gerade Geduld habe ich während meiner sportlichen Karriere gelernt. Sie hilft mir heute enorm – im Familienalltag genauso wie im Lehrerberuf.Anna Schaffelhuber
Disziplin, Struktur und Durchhaltevermögen – vieles, was sie aus dem Sport mitgenommen hat, hilft ihr auch jetzt. „Gerade Geduld habe ich während meiner sportlichen Karriere gelernt. Sie hilft mir heute enorm – im Familienalltag genauso wie im Lehrerberuf.“ Beruflich will sie nach der Elternzeit wieder an die Schule zurückkehren. „Aber das wird sich ergeben. Im Moment stehen meine Töchter im Mittelpunkt und ich genieße einfach die Familienzeit.“
Ganz vom Leistungssport verabschiedet hat Anna Schaffelhuber sich dabei nicht: Zu den Paralympics 2026 reist sie nach Mailand-Cortina, wenn auch nicht mit dem Monoski. Stattdessen wird sie mit Mikrofon und Fachblick dabei sein, als Sportkommentatorin der ARD.